Das Reinheitsgebot aus dem Jahre 1516
Viele Bieraufkleber rühmen sich mit Aussagen wie:
»gebraut nach der strengen Übereinstimmung mit dem deutschen
Reinheitsgebot von 1516«, das besagt soviel wie: Das Bier hat keine
Bestandteile wie Zucker, Reis, Mais, Zusätze oder Konservierungsmittel
und wird nur aus gemalzter Gerste oder Weizen sowie mit Hopfen und
Wasser gebraut. Die Verwendung der natürlichen Bierhefe dient lediglich
der alkoholischen Gärung, also die Umsetzung des Zuckers in
Äthylalkohol und Kohlensäure. Für die untergärigen Biere (Pils, Lager,
Export) ist der Malzbegriff sogar noch enger gestrickt: Hier ist nur
Gerstenmalz erlaubt. Bier ist einfach ein Naturprodukt, natürlich und
rein.
Das Fehlen eines solchen Hinweises Reinheitsgebot bedeutet
aber nicht unbedingt, dass ein Bier andere Zusätze aufweist. Ob Malz
oder Malzersatzstoffe wie Reis und Mais ist eine Frage des Geschmacks.
Natürliche Rohstoffe sind sie alle, auch wenn sie nicht alle dem
Reinheitsgebot entsprechen. Eine Logik, die nur historisch zu erklären
ist, aber werbewirksam bis zum heutigen Tage bleibt.
Der
Ursprung des Reinheitsgebotes ist tief in der deutschen Geschichte
verwurzelt (siehe 23. April ...). Es gilt als die älteste heute noch
gültige lebensmittelrechtliche Vorschrift der Welt. Sie wurde 1516
verkündet. Bereits aus dem Jahr 1156 gibt es erste Hinweise aus der
Zeit des Kaisers Barbarossa »schlechte Bierherstellung zu bestrafen«.
Längst nutzen einige internationale Brauer den Hinweis auf das
Reinheitsgebot als Qualitätsmaßstab (...our hand crafted beer conforms
to the Bavarian Reinheitsgebot...) und werben damit. Warum? Weil das
Reinheitsgebot für Bierreinheit steht, die viele Brauer aus Überzeugung
akzeptieren. Übrigens gilt das Reinheitsgebot nicht nur in Deutschland,
sondern auch verbindlich in Griechenland und in der Schweiz in einer
etwas abgeschwächteren Form.
23. April: Reinheitsgebot und Tag des deutschen Bieres
An
diesem Tag im Jahre 1516 hat der bayerische Herzog Wilhelm IV im Jahre
1516 vor dem Landständetag zu Ingolstadt das Reinheitsgebot für
deutsches Bier verkündet und damit einen bis heute gültigen
Qualitätsmaßstab gesetzt.
Es besagt im Wesentlichen: »... Ganz
besonders wollen wir, dass forthin allenthalben in unseren Städten,
Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein
Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen. Wer
diese Anordnung wissentlich übertritt und nicht einhält, dem soll von
seiner Gerichtsobrigkeit zur Strafe dieses Fass Bier, so oft es
vorkommt, unnachgiebig weggenommen werden.« Die Verkündung gilt als das
erste Verbraucherschutzgesetz und ist heute sogar – ergänzt um den
Begriff Hefe - im deutschen Biersteuergesetz festgelegt. Es soll den
Verbrauchern vor unliebsamen Panschereien und Gesundheitsrisiken
schützen, und dem Staat gleichzeitig sein Steuersäckel füllen helfen.
Der bayerische Herzog vergaß nämlich nicht, gleich die Preise
festzulegen und seine Bauern durch die Verwendung von Gerste zu
schützen. Bayern machte übrigens 1918 seine Zugehörigkeit zur Republik
davon abhängig, dass das Reinheitsgebot im gesamten damaligen Deutschen
Reich gelte! 1919 versicherten alle Deutschbrauereien ihre formlose
Untertanentreue zum Gesetz. Sie gilt bis heute, und ist auch von der EU
anerkannt.
Seit 1994 wird übrigens der Tag des Reinheitsgebotes
offiziell von den deutschen Brauern gefeiert: Mit Veranstaltungen und
Festivitäten sollen die Verbraucher daran erinnert werden. Das
Reinheitsgebot des Bieres kennen 90 Prozent der jungen Erwachsenen. Das
hat eine Untersuchung der Gesellschaft für Öffentlichkeitsarbeit der
deutschen Brauwirtschaft unter 800 jungen Erwachsenen zwischen 18 und
25 Jahren ans Tageslicht gebracht. 18 Prozent der Befragten messen ihm
sogar größte und weitere 29 Prozent große persönliche Bedeutung zu. In
der Gruppe der Biertrinker addieren sich beide Werte auf beachtliche 55
Prozent. Nur 13 Prozent der Befragten ließen zu diesem Thema eine
negative Grundposition erkennen.
Eine Premiere feierte 1998 das
neue Logo des Deutschen Brauer-Bundes zum Tag des deutschen Bieres und
des Reinheitsgebotes. Es kann für geplante Aktivitäten am
Nationalfeiertag des Bieres von jeder deutschen Brauerei verwendet
werden.
Unrein und trotzdem Geschmackssache
Der
unbändige Glaube an das Reinheitsgebot ist aber ein wenig irreführend.
Zwar müssen sich die deutschen Brauer daran halten, Bier für das Inland
mit nichts anderem als den vier grundlegenden Rohstoffen zu brauen,
aber im Ausland ist ihnen - wie anderen Brauern - erlaubt, Früchte und
Gewürze in ihrem Bier (sogar Sauerkraut, wenn sie wollen) zu verwenden.
Die Bedingung ist, dass Brauer dieses Bier nicht ein Lager nennen
können, wenn es in Deutschland vermarktet wird, obwohl es durchaus eins
sein konnte.
Infolgedessen wird die Unterscheidung zwischen Ale
(engl. für Bier) und Lager (Lagerbier) als eines der ungewöhnlichsten
Schlupflöcher in einem Verbraucherschutzgesetz betrachtet. Richtlinien
und Gesetze können eben interpretiert und müssen nicht immer
buchstabengetreu befolgt werden, ohne direkt missachtet zu werden.
Nichtsdestoweniger ist das Reinheitsgebot weiterhin ein allgemein
anerkannter internationaler Standard, der seine Anerkennung verdient.
Ein
Brauer, der die Vorschriften des Reinheitsgebotes bricht, um einen
ungewöhnlichen Geschmack - beispielsweise mit ungemahlener Gerste,
Extrazucker oder die Zugabe von etwas Fruchtaroma - zu entwickeln,
sollte man also nicht gleich verteufeln. Am wichtigsten ist, dass der
Brauer hochwertige Rohstoffe benutzt und nicht auf künstliche Zusätze
und Konservierungsmittel setzt, um sein Produkt angeblich zu verbessern.
Das
»flüssige Brot« mit dem schönen Zierrat »gebraut nach dem
Reinheitsgebot«, befindet sich dennoch längst in einem starken
Wettbewerb, muss sich behaupten. Auch die entsprechenden Marken
untereinander bekämpfen sich regelrecht mit Zusatzhinweisen wie
»gebraut aus natürlichem Quellwasser« oder »nur Naturhopfen verwendet«
(kein Hopfenextrakt). Auch die wachsende Konkurrenz und der Erfolg
anderer, »modernerer« Getränkegattungen machen dem beliebten Bier -
gebraut nach dem Reinheitsgebot - zu schaffen. Zahlreiche
Neueinführungen bringen zwar frischen Wind, gehen aber auch zulasten
des »normalen« Bierkonsums. Positiv entwickelt haben sich zum Beispiel
die Biermixgetränke und ihre mannigfaltigen Innovationen, nicht zuletzt
aufgrund bunter Etiketten und neuer Flaschenformen. Biere und
Spezialitäten aus dem In- und Ausland, die in den immer mehr bei der
jüngeren Generation beliebteren Longneck-Flaschen angeboten werden,
haben gute Absatzchancen. Erste deutsche Premiumbiermarkenanbieter
haben diesen Trend bereits erkannt, ziehen mit, setzen auf Innovationen
in Inhalt und/oder Verpackung.
Verkehrte Brauwelt
Nicht
alle deutschen Brauer beherzigen allerdings das Reinheitsgebot. Im
Frühling 1986 wurde der Brauer Helmut Keininger für die Verwendung von
Chemikalien in seinem Bier festgenommen. Die Verletzung des
Reinheitsgebotes wurde als so verheerend betrachtet, dass er Selbstmord
in seiner Münchener Gefängniszelle begann. Drei Jungbrauer aus Berlin,
allesamt Absolventen der staatlichen Versuchs- und Lehranstalt für
Brauer VLB in Berlin, streiten sich derzeit mit dem Gesetzgeber um die
Anerkennung eines Hanfbieres. Erst kürzlich hat die Brauerei Neuzelle
ein Verfahren verloren: Sie wollte die Verwendung von Zuckercouleur in
einem »historischen Bier« durchsetzen. Alle Streitereien gemein ist ein
hohes Öffentlichkeitsinteresse mit hoher Werbewirksamkeit. Die
ursprüngliche Kopie des Reinheitsgebotes ist übrigens auf Anfrage in
der bayerischen Staatsbibliothek in München einsehbar.
Das
Reinheitsgebot wird nicht für Bier angewendet, das von Deutschland aus
exportiert wird. Darunter einige der populärsten deutschen Biere. Sie
werden nicht entsprechend dem Reinheitsgebot gebraut. Die Rezepturen
sind erlaubterweise mit Zusätzen und Konservierungsmitteln für den
internationalen Geschmack und für eine längere Lagerung verändert. Kein
Wunder, dass viele deutsche Touristen – insbesondere US-reisende –
behaupten, dass deutsche Biere im Ausland nie so gut schmecken wie die
»heimischen«. Umgekehrt wird ein deutsches Bier nie so schmecken wie
ein berühmtes Guinness, Heineken oder Budweiser.